Predigt von Pater Marinko Šakota OFM am dritten Abend des Mladifest

Datum: 04.08.2018.

„In jener Zeit kam Jesus in seine Heimatstadt und lehrte die Menschen dort in der Synagoge. Da staunten alle und sagten: Woher hat er diese Weisheit und die Kraft, Wunder zu tun? Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt nicht seine Mutter Maria, und sind nicht Jakobus, Josef, Simon und Judas seine Brüder? Leben nicht alle seine Schwestern unter uns? Woher also hat er das alles? Und sie nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab. Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends hat ein Prophet so wenig Ansehen wie in seiner Heimat und in seiner Familie. Und wegen ihres Unglaubens tat er dort nur wenige Wunder.“ (Mt 13,54-58)

 

Jesus vollbrachte in seinem Heimatort nicht viele Wunder. Warum nicht? Matthäus erzählt uns: Wegen des Unglaubens der Menschen aus dieser Gegend. Es scheint eigenartig, dass über Menschen, die sich für gläubig hielten, die Synagoge besuchten, Gottes Wort hörten, die Gebote einhielten, von  Matthäus gesagt wird, das ihr Unglaube der Grund war, warum sie Jesus ablehnten.

 

Diese Situation lehrt uns, dass es möglich ist, in die Synagoge, in die Kirche zu gehen, am Gebet teilzunehmen, aber dennoch  hindert uns etwas, Jesus zu begegnen. Es ist möglich, Jesus örtlich nahe, doch gleichzeitig weit weg von ihm zu sein.

Betrachten wir nun genauer, was in der Synagoge geschehen ist. Die Menschen aus Jesu Heimatstadt sehen und hören Jesus in der Synagoge lehren. Wir können annehmen, dass Jesus über wichtige Dinge predigte. Und diese Leute bemerkten und gaben auch zu, dass Jesus weise Worte sprach und Wunderkräfte besaß. Wahrscheinlich hat Jesus ihnen eine wichtige Botschaften vermittelt durch schöne und passende Beispiele aus dem Leben, aus der Natur, so wie er es üblicherweise tat.

Aber seine Worte fallen trotzdem auf steinigen Boden in seinen Zuhörern. Sie dringen nicht zu ihnen durch. Ja sie machen sogar einen Skandal daraus. Zwischen ihnen und Jesus entstand ein großes Hindernis, herrschte großer Neid. Anstatt dass sie sich seiner Botschaft, seiner Weisheit öffneten, stellten sie ihm eine Gegenfrage: „Woher hat er solch große Weisheit und diese Wunderkräfte?“ Nachdem Jesus weise Worte gesprochen und Wunder vollbracht hatte, fiel ihr Blick von Jesus ab, und sie suchten nach einer Antwort auf die Frage, woher er diese Kraft hätte. Ihr Blick suchte nach Ursachen und blieb auf Jesu Familie stehen - ein Sohn einfacher und bescheidener Leute -, unmöglich, dass er solche Wunder vollbringt, wo er doch aus solch einer einfachen Familie stammt.

Das Wissen, das sie über Jesus hatten, verwandelte sich in ein unüberwindbares Hindernis. Und so verschlossen sie sich. In ihrem Herzen keimte Misstrauen gegenüber Jesus auf, Jesus konnte nicht mehr zu ihnen durchdringen und unter ihnen wirken.

Aus dieser Situation können wir viel über unser eigenes Inneres lernen.

Die Leute von Nazareth waren sich dessen nicht bewusst, dass ihr Blick nicht rein war, dass sich etwas in ihr Herz geschlichen hatte, und dass dieses Etwas ihren Blick und ihr Denken beeinflusste, sodass sich ihr Bild von Jesus verformte und sie Jesus nicht mehr klar sehen konnten, sondern nur durch seine einfache und bescheidene Familie.

Dieses Beispiel bietet uns eine Möglichkeit, viel über das menschliche Herz zu lernen. Denn in unserem Herzen formt sich ein Bild über andere. In unserem Herzen kreieren sich unser Blick und unsere Gedanken. Erinnern wir uns an Jesu Worte: „Das Licht des Leibes ist dein Auge. Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Leib licht sein. Wenn es aber krank ist, wird auch dein Leib finster sein.“ (Lk 11,34)

Wenn wir lichtreiche, positive Gedanken haben, dann formt ein positiver Gedanke unsere Sicht. Herrscht in uns jedoch ein negativer Gedanke über jemanden oder ein schlechtes Gefühl, dann beeinflusst auch das unser Bild von dieser Person.

Einmal sagte jemand: „Wenn du eine Fliege fragst: „Gibt es hier Blumen in der Gegend?', dann wird sie dir antworten: 'Ich weiß es nicht, aber dort unten gibt es sehr viel Müll und Schmutz!'. Und wenn du eine Biene fragst: 'Hast du Abfall hier in der Gegend gesehen?', wird sie dir sagen: 'Müll? Nein, hab ihn nirgends gesehen, hier ist alles voller duftender Blumen!'“ Eine Fliege weiß also nur, wo man Müll, und eine Biene, wo man Blumen findet. Soweit ich begriffen hab, ähneln einige Menschen Fliegen und andere Bienen. Diejenigen, die wie Fliegen sind, werden in jeder Situation das Schlechte suchen und nirgends das Gute finden. Diejenigen, die wie die Bienen sind, treffen überall nur auf Gutes.

Erinnern wir uns an andere Worte Jesu: „Selig sind die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“(Mt 5,8)

Wenigsten drei Schlüsse können wir aus diesem Kontext ziehen:

 1.  Das Herz entscheidet über unsere Sicht.

 2.  Das Herz kann unrein sein.

 3.  Das Herz muss gereinigt werden, um klar sehen zu können.

 

Vor dem Altar, aber auch im Alltag, sehen wir oft Menschen mit Fotoapparaten. Das menschliche Auge und Fotoapparate haben Ähnlichkeiten miteinander, aber sie unterscheiden sich doch im Wesentlichen voneinander. Der Fotoapparat nimmt die Wirklichkeit für einen Augenblick so auf, wie sie zu dem Zeitpunkt ist, und „friert sie ein“. Das Auge dagegen kommentiert die Wirklichkeit und formt sie, indem es manches dazugibt und anderes wegnimmt.

Wenn man eine Landschaft betrachtet, beeinflusst nicht nur unser Auge das Aussehen, sondern auch andere Dinge, wie das Wetter. So erscheint alles anders, wenn die Sonne scheint oder wenn es regnet. Die Natur sieht auch anders aus, wenn der Mensch glücklich ist, als wenn er müde oder schlecht gelaunt ist.

Hier noch weitere Beispiele, wie unser Blick funktioniert:

Wenn jemand verliebt ist, dann sieht er die geliebte Person auf eine besondere Art und Weise, er idealisiert sie, alles ist schön an ihr: die Art wie sie geht ist schön, wenn sie lacht ist sie schön, wie sie schaut ist sie schön. Alles an ihr ist schön. Wenn man jedoch zu zweit diese Person beobachtet, wird man dieselbe Person unterschiedlich sehen. Wenn im Herzen Neid und Eifersucht herrschen, beeinflusst das die Sichtweise, und wenn man Liebe für diese Person im Herzen empfindet, wird man sie anders wahrnehmen. Der Grund dafür liegt also im Inneren des Menschen.

Erinnern wir uns an ein Gleichnis Jesu: der barmherzige Vater und der ältere Sohn betrachten dieselbe Person – den jüngeren Sohn bzw. Bruder und sie sehen ihn mit unterschiedlichen Augen. So können auch wir eine Person aus einer anderen Nation, mit einem anderen Glauben, aus einer anderen Partei, unseren Nachbarn mit verzerrtem Blick sehen. Aus diesem Grund sagt Jesus: Zieh nicht den Splitter aus dem Auge des anderen, bevor du nicht den Balken aus deinem eigenen Auge, aus deinem Herzen, entfernt hast.

Zuallererst ist es wichtig, sich dessen bewusst zu werden, dass in uns, in unserem Herzen, etwas sein kann, das eine verzerrte Sichtweise verursacht. Und wir müssen alles daran setzten, dies aufzudecken. Scheuen wir nicht die Mühe zu verstehen, wie das Glas ist, durch das wir hindurch blicken, denn das Glas kann verschmutzt sein. Auf unseren Augen kann sich eine Schicht bilden, die uns den Blick verschleiert. Erinnern wir uns daran, wie groß der Balken in den Augen der Menschen war, die diese eine Frau, die gesündigt hatte, betrachtet haben und sie deswegen steinigen wollten. Stellt euch vor, wie groß der Balken im Auge des älteren Bruders war, sodass er nicht die Türschwelle überqueren konnte, um seinen jüngeren Bruder zu umarmen. Wie sehr hat sich Negatives in die Augen und das Herz der Pharisäer geschlichen, sodass sie Jesu Schüler kritisierten: „Warum isst euer Lehrer mit den Sündern und Zöllnern?“ Was hat die Entscheidung der Hohepriester und Gesetzeslehrer beeinflusst, dass sie nicht angehalten haben neben einem Verletzten, sondern ihren Weg fortsetzen? Was hat sich in das Herz zweier Schüler Jesu geschlichen, die traurig aus Jerusalem nach Emmaus zurückkehrten? Auch Nathanael hätte den falschen Weg einschlagen können, als er von Philippus hörte, dass Jesus aus Nazaret stammt: „Aus Nazareth? Kann von dort etwas Gutes kommen?“ (Joh 1,46)

Diese Bibelstelle lehrt uns sehr Wichtiges: auf unser Inneres Acht zu geben. Dass wir aufpassen müssen, womit was wir unser Herz nähren, welchen Inhalt es hat. Stellt euch vor, welchem Einflüssen wir von außen und innen ausgesetzt sind, wie sehr die Medien unsere Sichtweise beeinflussen und formen wollen, wie Interessen unsere Sichtweisen und unser Denken steuern. Mit Recht stellen wir folgende Frage: Wenn unsere Wahrnehmung so unsicher ist, hat es überhaupt Sinn, sich um die Erkenntnis zu bemühen? Können wir überhaupt Schlüsse ziehen oder Urteile über andere fällen? Genauso wie dem Herzen eine verzerrte Sichtweise zugrunde liegt, genauso liegt in uns auch der Schlüssel für das richtige Betrachten. Wie können wir diesen Schlüssel finden? Unser Leid entsteht nicht so sehr dadurch, dass wir unterschiedliche Sichtweisen haben, sondern weil wir uns unseres unreinen Blickes nicht bewusst sind. Wären sich die Menschen von Nazaret ihrer Vorurteile bewusst gewesen, vielleicht hätten sich die Dinge anders abgespielt. Erinnern wir uns an das gestrige Zeugnis von Blanka Vlašić. Sie erzählte davon, wie auf irgendeinem Parkplatz eine große Veränderung in ihrem Leben passierte. Das war nur ein Augenblick, ein Erwachen aus einem Traum, das Öffnen der Augen, das Öffnen des Bewusstseins. Und alles änderte sich auf einmal. Von da an sah sie Dinge, Personen und Probleme auf eine andere Art und Weise. Erinnern wir uns auch an die Mutter aus Barcelona, die 18 Kinder zur Welt gebracht hat, und 15 davon leben. Andere sagen zu ihr: „Oh du Arme, du bist eine Witwe mit 15 Kindern!“ Aber sie antwortet darauf: „Ich höre diese Worte, aber ich fühle mich so: Selig bin ich als Mutter, umkreist von 15 Kindern!“ Der Mensch sieht sich und andere Mitmenschen anders, wenn Treulosigkeit, Misstrauen in ihm  herrschen, als wenn sich in seinem Herzen Glaube, Hoffnung und Liebe befinden.

Wenn unser Herz rein ist, wenn in ihm Liebe vorhanden ist, dann kann sich der Feind auch zu einem Freund wandeln. Wenn das Herz frei ist, dann sehen Erfolg, Reichtum und Tragödien anders aus. Deswegen sind wir hier in Medjugorje zum Gebet mit dem Herzen aufgerufen! Damit sich unser Herz immer wieder erneut dem Herrn und seiner Sichtweise öffnet. Schauen wir im Sakrament der Beichte, in der Hl. Messe, in der Anbetung, im Gebet vor dem Kreuz auf Jesus und erlauben wir ihm, dass er unseren Blick formt, unser Herz befreit im Fasten am Mittwoch und Freitag und dass wir unser Inneres durch das Lesen und Hören der Hl. Schrift nähren. Das Rosenkranzgebet am Erscheinungsberg und das Gebet am Kreuzberg, all das hat zum Ziel, dass sich unser Herz verändert, gereinigt und verwandelt wird, sodass wir mit anderer Sichtweise in den Alltag, nach Hause zurückkehren.

Wir alle, die wir uns heute zur Begegnung mit Jesus getroffen haben, bitten wir ihn, dass er unser Herz und unsere Augen öffnet, sodass wir uns aller Hindernisse in uns bewusst werden: der Vorurteile, der Generalisierung und Idealisierung anderer, des Hochmutes oder der Minderwertigkeitskomplexe, der Härte unseres Herzens, des Nicht-Verzeihen-Könnens und dass er unser Herz mit seinem Blick reinigt, mit jenem Blick, mit der auch das Herz von Petrus berührt hat. Amen.